DIE ZEIT
Literatur
37/2002
Schill ohne Maske
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von Rudolf Walther
Die Partei Rechtsstaatlicher
Offensive, kurz Schill-Partei, errang bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg
am 23. September 2001 auf Anhieb 19,4 Prozent der Stimmen. Der sensationelle
Erfolg, selbst in gutbürgerlichen Wohnvierteln, ist außerhalb der
Stadt fast vergessen.
Mit wem man es bei Ronald Barnabas Schill zu tun hat, demonstrierte der Hamburger
Innensenator vergangene Woche im Bundestag. Ausgerechnet die Debatte über
die Flutkatastrophe nutzte er zu einer wüsten Parteitagsrede gegen "Ausländer",
"bosnische Flüchtlinge" und "im Luxus" lebende Häftlinge
und machte diese Gruppen verantwortlich dafür, dass nun Geld fehle für
die Opfer. Weil ihm das Bundestagspräsidium nach der Überschreitung
der Redezeit das Mikrofon abdrehte, will er nun in Karlsruhe klagen. Die Hamburger
CDU und FDP müssen sich fragen lassen, was übrig geblieben ist von
ihrer demokratischen Selbstachtung im Machtbündnis mit dem Demagogen.
Marco Carini und Andreas Speit gehen den Gründen für den Aufstieg
des Populisten nach. Einmal ist es die Person des Rechtssprechers Ronald Schill,
den man nicht mehr Richter nennen mag, wenn man das fundierte Buch gelesen hat.
Er profilierte sich zunächst als rigoroser Law-and-Order-Mann mit abstrus
harten Urteilen und eigenwilliger Auslegung von prozeduralen Normen, die ihm
eine Klage wegen Rechtsbeugung eintrugen. Richtig bekannt wurde er jedoch erst,
als er - und das ist der zweite Aspekt des "Phänomens Schill"
- mithilfe der Medien, insbesondere der in Hamburg stark vertretenen Springer-Blätter,
den Gerichtssaal in eine Bühne für seine Selbstdarstellung verwandelte.
Mit seinen "Rundumschlägen gegen Politik und Justiz" provozierte
Schill geradezu eine Versetzung und ein Disziplinarverfahren. Die Autoren zeigen,
wie er das hohe Rechtsgut richterlicher Unabhängigkeit missbrauchte, was
zu grotesken Zuständen führte. Nachdem Schill vom Straf- an ein Zivilgericht
versetzt worden war, verschaffte er sich ziemlich ruhige Arbeitstage, indem
er Fälle, die auf seinem Tisch landeten, einfach mit Selbstbefangenheitserklärungen
versah und weiterreichte. In wenigen Monaten machte er das 394-mal und legte
damit eine ordentliche Rechtsprechung einfach lahm, ohne dass die Justizbehörde
gegen diese Sabotage einschreiten konnte.
Als dritten Faktor für Schills Erfolg machen die Autoren in ihrem informativen,
gut recherchierten Werk die besonderen "Hamburger Verhältnisse"
aus. In vierzigjähriger Regierungszeit habe sich die Hamburger Sozialdemokratie
verschlissen und dem Populisten, der die Innere Sicherheit zum Wahlkampfthema
gemacht hatte, zunächst nichts entgegensetzen können. Und als es schon
zu spät war, kam die SPD auf die Idee, Terrain zurückzugewinnen, indem
sie sich mit ihren Vorschlägen zur Verbesserung der Inneren Sicherheit
Schill annäherte. Die Wähler honorieren derlei nicht - sie wählen
dann lieber das Original und nicht die Kopie.
Schließlich beruht Schills Erfolg gerade auch im bürgerlichen Lager
darauf, dass es dem populistischen Anti-Politik-Politiker gelungen ist, sich
von rechtsextremistischen oder gar nazistischen Parteien abzusetzen. Dennoch
dürfte er sich mit seinem Auftritt im Bundestag für die demokratischen
Parteien als Partner endgültig diskreditiert haben.
Marco Carini/Andreas Speit:
Ronald Schill
Der Rechtssprecher; Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2002; 205 S., 15,- EUR